Bildung nach Marktmechanismen?

Christoph Seiffert flickr

(Quelle: Christoph Seiffert/ flickr.com/ CC)

Warum die Jungen vor lauter Zukunftsangst auf die wahren Chancen eines Hochschulstudiums verzichten. Ein Gastbeitrag des Müßiggang Magazins.

von Gerrit Seebald

Wie so oft, wenn ich alleine in meinen Seminaren sitze, weil ich irgendwie keinen so richtig kenne und peinliches Schweigen peinlichem Smaltalk vorziehe, lausche ich dem, was meine Kommilitonen zu sagen haben. Irgendwann geht es immer um dasselbe: Nebenjob, Bewerbung, Praktika, Berufschancen. Um die bedingungslose Unterwerfung unter den individualisierten und am Ende doch so gleichförmigen Lebenslauf der Generation Auslandsaufenthalt. Irgendwie auch verständlich, dass man vor lauter Möglichkeiten sich selbst zu verwirklichen das „Selbst“ gänzlich vergisst. Zukunftsangst ist wohl auch ein weit verbreitetes Phänomen meiner Generation, funktionieren wir eben doch noch nicht vollkommen wie kleine, fleißige Maschinen.

Die Betonung liegt auf noch nicht, wenn ich weiter zuhöre, wie meine Kommilitonen ihre Welt sehen. Allzu oft enden diese leidigen Debatten mit der absurden Schlussfolgerung, dass sie doch jetzt endlich Arbeiten wollen und es genug sei mit dem Studieren. Es sei nun endlich Zeit etwas produktives zu machen, wie kleine, fleißige Maschinen eben. Studieren passt da nicht rein, denn zweckfreie Bildung funktioniert nun mal nicht nach Marktmechanismen. Doch genau deshalb sind sie einst gegründet worden, die Universitäten. Um einen Raum zu schaffen, die Welt, die Natur und vor allem die Menschen in all ihren Facetten zu erfassen und eben nicht, um uns auf einen Job in einer Berliner Social-Media-Agentur vorzubereiten. Doch das halten sie nicht aus.

Blitzt unerwartet, trotz Bologna und kleinem Budget, dieses überholte Ideal einer humanistischen Bildung auf, dann wird er noch lauter, der Wunsch, nun endlich etwas produktives zu machen: Vielleicht Social Media Manager. Sie halten es nicht aus, kein verwertbarer Teil des Systems zu sein, keinen materiellen Gegenwert zu haben. Die Human Ressource Manager moderner Unternehmen und Startups haben ihrem Namen alle Ehre gemacht und es erreicht, das Letzte aus ihren Rohstoffen herauszuquetschen. Identität stiftet sich nur noch aus der völligen Diffusion von Beruf und Persönlichkeit. Die Universität ist die semipermeable Membran auf dem Weg dahin. Weil es eben nicht jeder schafft, müssen sie her, die Praktika, die Bewerbungen, die Nebenjobs. Alles erreicht in seinem Leben hat eben nur, wer eine Rutsche und eine 5000 Euro Espressomachine in seinem Büro hat.

Auf der Strecke bleiben Bildung, Wissen, Innovation und vor allem eine Zeit, die wir nie wieder zurückbekommen. Eine Zeit, in der ich, wenn ich möchte, montags feiern gehen kann. Eine Zeit, in der man oft mehr Freunde hat, als einem vielleicht recht ist. Eine Zeit, in der wir mehr Zeit haben, als wir glauben. Zeit, die uns niemand wiedergeben kann, wenn wir sie nicht genutzt haben. Zeit, die wir erst zu schätzen lernen, wenn wir sie nicht mehr haben. Zeit, die genauso zu unserem Leben gehört, wie alles, was danach kommt. Zeit, die vielleicht erst zu strahlen beginnt, wenn wir merken, dass wir unser Studium verschwendet haben, um die nächsten 40 Jahre endlich was produktives zu machen: Vielleicht Social Media Manager.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im Müßiggang Magazin.