Ist der demografische Wandel gar nicht so schlecht?

(Bildnachweis: https://www.flickr.com/photos/clement127/10118064923/)

(Bildnachweis: clement127; https://www.flickr.com/photos/clement127/10118064923/)

Thomas Straubhaar hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt „Der Untergang ist abgesagt“. Klingt erst einmal gut. Doch für ihn gibt es genügend Gründe zur Aufregung. Mit der Panik, Deutschland ginge am demografischen Wandel zugrunde, müsse endlich Schluss sein. Wie wäre es, wenn Deutschland den Wandel endlich mal gestalten würde, statt panisch vor ihm wegzulaufen?

Thomas Straubhaar stammt aus der Schweiz, wo er sich schon früh mit dem Thema Migration beschäftigt hat. Aktuell ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Hamburg, Direktor des Europa-Kollegs Hamburg und Fellow der Transatlantic Academy in Washington D.C. Sein Buch ist ein 206 Seiten langer Rundumschlag zum demografischen Wandel. Ohne Zweifel behandelt es einige wichtige Fragen und Probleme. Dieser Text fasst eine Präsentation des Buches zusammen, mit der Straubhaar versuchte, einen Überblick über sein Werk zu verschaffen.

Über den demografischen Wandel wissen die meisten Menschen recht wenig. Ihr Halbwissen beschränkt sich häufig auf die Tatsache, dass in Deutschland zu wenige Kinder geboren werden, um die Bevölkerungszahl langfristig konstant zu halten. Auch bekommen viele Menschen noch mit, dass die Lebenserwartung steigt, und natürlich: dass es Einwanderung gibt.

Doch vor allem, das betont Thomas Straubhaar, gäbe es über den demografischen Wandel viele Mythen. Der größte Mythos: Es ist schlecht, dass die deutsche Bevölkerung schrumpft. Der Autor fragt: Warum eigentlich? Weniger Menschen hätten mehr Infrastruktur und Kapital zur Verfügung, dementsprechend wäre jeder Kopf zukünftig wohlhabender. Und: Eine kleinere Bevölkerung verringere auch die Gefahr der Umweltverschmutzung.

Ein weiterer Mythos: Die Überalterung der Gesellschaft ist schlecht und stellt Deutschland vor unlösbare Probleme. Dies treffe laut Straubhaar nur zu, wenn die Sozialsysteme weiterhin auf eine junge Bevölkerung ausgerichtet bleiben. Doch über steigende Pflegekosten durch eine höhere Lebenserwartung brauche man sich keine Sorgen machen. Schließlich seien die Pflegekosten meist in den letzten drei Lebensjahren eines Menschen besonders hoch – egal ob er nun 70, 80 oder 90 Jahre alt wird. Statt mit 70, komme man zukünftig eben mit 80 Jahren ins Heim.

Migration, betont Straubhaar, kann nicht wirklich helfen, den demografischen Wandel zu bewältigen. Makroökonomisch gesehen, sei Zuwanderung ein marginales Thema. Ebenso der Fachkräftemangel. Über ihn würde eine absolute Phantomdiskussion geführt, denn für den Fachkräftemangel gäbe es keine makroökonomische Grundlage. Stattdessen verfüge die Bundesrepublik über jede Menge ungenutzter Ressourcen – Straubhaar meint hier zum Beispiel nicht berufstätige Frauen, Ältere, die noch geistig fit sind und trotzdem vom Arbeitsmarkt verdrängt wurden, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits in Deutschland leben. Diese sollten endlich besser integriert werden. Hinzu kommt laut Straubhaar: Wenn die Prognosen über die mit der Digitalisierung einhergehende Arbeitsersparnis auch nur im Entferntesten zutreffen, könnten wir froh sein, weniger Arbeitnehmer beschäftigen zu müssen. Von einem Fachkräftemangel zu sprechen, während die Digitalisierung vor der Tür steht, sei ökonomisch nicht stichhaltig.

Und auch eine weitere Überalterungs-Angst macht der Ökonom platt: Die Angst vor der Innovations- und Produktivitätsbremse. Zunächst fördere eine längere und bessere Ausbildung automatisch die Innovationskraft. Zudem täten wir gut daran, endlich unser Bild vom Alter zu modernisieren. Oft gelte man mit 50 schon als alt, dabei seien durch die höhere Lebenserwartung Menschen in diesem Alter noch sehr produktiv und häufig bereit, sich weiter zu bilden. Um dies zu fördern, sollten wir lebenslange Bildungsangebote vorantreiben. Arbeitgeber sollten zudem verstärkt auf gemischte Teams setzen, in denen sich junge und erfahrene, ältere Mitarbeiter gegenseitig unterstützen und voneinander profitieren. Im Übrigen sei die deutsche Bevölkerung zu Zeiten des Wirtschaftswunders viel kleiner gewesen als heute.

Die größte Herausforderung des demografischen Wandels sieht Straubhaar viel mehr in der Tatsache, dass im Bundestag Entscheidungen zukünftig nur noch mit der Zustimmung der Alten getroffen werden können – denn sie sind die größte Interessens- und Wählergruppe. Dass Politiker dies wissen, und ihre Politikinhalte entsprechend anpassen, zeige beispielsweise das jüngste Rentenpaket. Wenn dies der Handlungsmaßstab der Zukunft bleibt, gäbe es tatsächlich ein Problem. Denn den Jungen fehlt der Einfluss. Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, schlägt Straubhaar das Kinderwahlrecht zur Stärkung der jüngeren Generationen vor.

(Bildnachweis: Körber-Stiftung)

(Bildnachweis: Körber-Stiftung)