Wir kündigen

Der Generationenvertrag ist die Basis unseres Rentensystems. Doch die Alten haben vergessen, wie Generationengerechtigkeit geht.

Die politische Debatte hierzulande sieht alt aus – im wahrsten Sinne des Wortes. Besonders schonungslos vor Augen geführt wird dies dem Bürger beim Zappen durch deutsche Polittalkshows. Zur Runde „Rente ohne Zukunft“ hat sich Maybrit Illner sechs Gäste eingeladen – nur zwei von ihnen unter 50 Jahren. Bei „Hart aber fair“, sieht es noch grauer aus: Frank Plasberg fragt: „Werden die Jungen ausgeplündert?“ und lässt dann in seiner Runde diskutieren: zwei Gäste über 70, einer über 80. Der 50-jährige Hajo Schumacher darf sich mit einer 29-jährigen Unternehmerin zu den Jungen zählen.

So traurig es aussieht, wenn sich hauptsächlich ergraute Senioren öffentlich zu Themen äußern, welche vor allem die Zukunft der Jungen betreffen – die Diskussionsrunden spiegeln die zukünftige deutsche Gesellschaft wider.

Senioren sind die einflussreichste Lobbygruppe

Jeder fünfte Deutsche ist heute laut Statistischem Bundesamt 65 Jahre oder älter, 2060 wird es jeder dritte sein. Dann wird es außerdem fast so viele über 80-Jährige geben wie unter 20-Jährige. Schon jetzt bevölkern Senioren nicht nur die TV-Talkshows. Sie sorgen für volle Wahlkampfveranstaltungen, schreiben empörte Leserbriefe und diskutieren ihre Anliegen auf Bürgerabenden. Senioren sind zur größten und einflussreichsten Lobbygruppe geworden.

Kein Wunder also, dass Andrea Nahles sich bei den Plänen zur Rentenreform vor allem um diejenigen gekümmert hat, die aktuell in Rente sind oder kurz vor ihrem Renteneintritt stehen. Sie stellen die größte Wählergruppe bei den kommenden Wahlen – und man möchte ja wiedergewählt werden. Gerne nehmen die Alten die Geschenke der Arbeitsministerin an. Dafür kann man ihnen keinen Vorwurf machen. Niemand würde „nein“ zu höherer Rente oder mehr Zeit für Familie und Hobbys sagen. Für uns Junge aber bringt das Rentenpaket vor allem eines: Kosten. Die bisher kalkulierten 160 Milliarden Euro zahlen wir. Was für uns bleiben wird, wenn wir alt sind, steht in den Sternen.

Die Alten machen den Generationenvertrag zunichte

Doch es ist nicht mehr zu ändern. Die Reform wurde vom Parlament beschlossen. Abgeordnete machen Politik im Sinne der über 60-Jährigen. Zugunsten der kommenden Generationen fallen diese Entscheidungen nicht aus. Der Generationenvertrag wird so zunichte gemacht.

Der Generationenvertrag besteht, wie der Name sagt, zwischen verschiedenen Generationen einer Gesellschaft. Er ist die Basis unseres Rentensystems: Die Renten der derzeitigen Bezieher werden durch die Beiträge der jüngeren, arbeitenden Generation beglichen. Diese Generation wiederum sieht ihre zukünftige Rente von den eigenen Kindern und Enkeln bezahlt. Das bedeutet: Dass das Rentensystem funktioniert, hängt vor allem davon ab, wie viele Kinder geboren werden. Bis Anfang der 1960er-Jahre war dies kein Problem. Doch seitdem sinkt die Geburtenrate, auf einen Rentner kommen immer weniger Beitragszahler. Aktuell bekommt eine Frau in Deutschland durchschnittlich 1,4 Kinder – damit das Rentensystem funktioniert, müsste die Geburtenziffer aber über 2 liegen.

Keine Rechte für Kinderlose?

Natürlich gönnen wir unseren Eltern und Großeltern ihre Rente. Natürlich zahlen wir gerne für sie, geben mit unseren Rentenbeiträgen indirekt etwas an sie zurück. Doch es sind nicht nur unsere Eltern und Großeltern, für die wir die Rente zahlen müssen, sondern auch all jene, die keine Kinder bekommen haben und nun trotzdem ihre Rente vom Sozialstaat einfordern. Sven Kuntze, selbst Jahrgang 1942, formulierte es in seinem Buch „Die schamlose Generation“ so: „Die Generation der Ungeborenen muss sich also darauf verlassen können, dass die Lebenden ihre Pflichten erfüllen. Wer keine Kinder in die Welt setzt, kündigt demzufolge den Generationenvertrag.“ Dem Journalist zufolge wäre das Anrecht Kinderloser auf die Rente erloschen.

Ganz funktioniert diese Idee jedoch nicht. Schließlich herrscht in der Bundesrepublik eine freiheitlich-demokratische Grundordnung. Und das soll auch so bleiben. Niemand soll zum Kinderkriegen gezwungen werden. Klar ist aber: Als Norbert Blüm 1986 verkündete: „Die Rente ist sicher“, sprach er wohl eher für seine eigene Generation. Für uns Junge ist nur sicher, dass wir für die Rente von Menschen aufkommen müssen, die sich selbst nicht um nachfolgende Generationen zu scheren scheinen. Für uns selbst ist die Rente etwas, das wir privat ersparen müssen. Selbstverständlich neben den Investitionen in eine eigene Familie sowie steigenden Kosten für die Pflege alter Bürger. Die finanziellen Belastungen, die durch den demografischen Wandel entstehen, sind für uns kaum noch zu stemmen.

Wir sind die Zukunft der Gesellschaft

Selbst wenn die älteren Generationen nicht, wie von Sven Kuntze behauptet, bewusst den Bruch des Generationenvertrags herbeigeführt haben, indem sie keine oder zu wenig Kinder bekommen haben: Dadurch, dass sie Reformen hingenommen und befürwortet haben, welche die jungen Generationen mehr und mehr belasten, haben sie die Vertragsbasis zerstört und das Verhältnis der Vertragsparteien nachhaltig geschädigt.

Die Einhaltung eines Vertrags beruht aber auf Gegenseitigkeit. Wenn sich die älteren Generationen vom Generationenvertrag abwenden, nicht mehr um sein Fortbestehen bemüht sind, möchten und können wir dies auch nicht mehr tun. Wir, die Jungen, sind zwar nicht in der Mehrheit, aber wir sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Statt kleiner, teurer Rentengeschenke brauchen wir tiefgreifende Reformen und Investitionen in Familie und Bildung. Das Rentensystem, wie es heute existiert, kann für die Zukunft nicht mehr funktionieren. Der Generationenvertrag kann nicht mehr die Basis sein. Damit sich etwas bewegt, möchten wir unsere Vertragsbedingungen neu verhandeln. Wir sehen keine andere Chance: Wir kündigen.

Zuerst erschienen bei The European.