Wenn die Volksparteien die Jugend zurückgewinnen wollte braucht es eine Rückbesinnung auf Inhalte. Credits: Jennifer Fey

Weg mit der Arroganz, her mit Inhalten: Wie die „Volksparteien“ die Jugend zurückgewinnen können

Seit den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai geht es für die Volksparteien in Deutschland um alles – außer um Europa. 

Die Wahlergebnisse haben das gemütliche Vor-sich-hin-verwalten der GroKo durcheinandergewirbelt. Jetzt ist die SPD-Führungsriege wieder beschäftigt mit genossenschaftlichem Köpferollen, die Kanzlerin lässt sich von Elitestudentinnen für Erfolge feiern, die nicht wirklich ihre eigenen sind (Ehe für alle, Mindestlohn, Atomausstieg) (bento), und der Rest der Unionsspitze zeigt panisch mit dem Schimpfefinger auf alle, die „schuld“ am Wahlergebnis sind – YouTuber, Grüne, Linke (Paul Ziemiak) – außer auf sich selbst.

Als Beobachterin dieses Spektakels möchte man nur noch: Kopfschütteln und Fremdschämen. Über PDF-Dokumente, Selbstfindungsversuche und die Machtversessenheit der Volksparteien. Sonst sind sie immer gerne dafür zu haben, die Jugend in die Verantwortung zu nehmen: zum Beispiel, in dem sie sich eine ordentliche Rentenreform spart und die Probleme eines Generationenvertrages bei schrumpfender Bevölkerung ignoriert.

Doch den jungen Leuten gegenüber sind die Volksparteien, besonders seit der Europawahl, nur noch arrogant:

  • Sie sollten doch erst mal eigenes Geld verdienen, bevor sie sich eine politische Meinung bilden (Thomas_Bareiss),
  • sie bräuchten außerdem ganz spezielle Kommunikationsregeln (SPIEGEL ONLINE)
  • und für wichtige politische Ämter kämen sie ohnehin nicht in Frage.

Bei letzterem Punkt ragt die SPD besonders heraus: Während sich kaum mehr ein ranghohes Parteimitglied finden lässt, das sich annähernd mit den Begriffen „Erneuerung“ oder „Glaubwürdigkeit“ in Verbindung bringen lässt, reagieren die „alten“ Sozen auf eine aktuell ganz und gar nicht so abwegig erscheinende Besetzung der Parteispitze herablassend:

Thomas Oppermann, der in den letzten Krisenjahren der SPD schon in einigen Führungsämtern bekleidet hat, wünscht sich Kevin Kühnert „in zehn Jahren“ als Partei-Chef (Spiegel Online) und Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (wer sich fragt, was er eigentlich gerade macht: er ist als Kabarettist auf Deutschland-Tour) fände es „völlig unverhältnismäßig“, wenn ein 29-Jähriger als Parteivorsitzender der SPD gehandelt wird. (Tagesspiegel)

Dabei geht es bei Kevin Kühnert gar nicht darum, wie alt er ist, oder wie lange er schon Politik macht (übrigens schon seit mehr als 14 Jahren, alleine in der SPD) (Munzinger), sondern darum, dass er sich traut – ohne Stinkefinger in Wochenmagazinen, sondern mit echten Worten – Probleme an- und Ideen auszusprechen.

Wichtigeres als das Ende der GroKo

Im Übrigen – und das dürfen sich bitte sehr gerne auch die Redaktionen der Primetime Polittalkshows zu Herzen nehmen – gibt es Wichtigeres, als den genauen Zeitpunkt des SPD-Untergangs, des GroKo-Endes und des Volksparteien-Sterbens.

Bei ihrem endlosen Postengepoker und Schuldgeplänkel vergessen die Parteien – unter anhaltendem Geschrei der Kinder und Jugendlichen jeden Freitag auf der Straße – was ihnen eigentlich bei den Europawahlen im Weg stand: fehlende Antworten auf drängende Fragen.

Wie können wir die globale Erderwärmung begrenzen, damit Klimakatastrophen wie Waldbrände und Trockenheit nicht zur Normalität werden? (ARD Mediathek) Wie schaffen wir ein faires Sozialsystem, in dem der Kontostand nicht über die Lebensdauer entscheidet? (SPIEGEL ONLINE) Wie können wir Schülerinnen wieder eine Lernumgebung garantieren, in der sie sich nicht, wie unter anderem in Niedersachsen, um tropfende Decken sorgen, sondern auf ihre Zukunft vorbereiten können? (ndr) Wer schaut überhaupt Horst Seehofer auf die Finger, wenn er Gesetze wieder kompliziert machen will? (ARD)

Achja, und was ist eigentlich mit Europa?

Das, liebe Volksparteien, fragen sich nicht nur „diese jungen Leute“ hierzulande wirklich. Es fragen sich alle BürgerInnen, denen die Zukunft unserer Gesellschaft am Herzen liegt. Wir fragen es euch, die dafür da sind, „gesellschaftliche Interessen zu formulieren und ihnen Geltung zu verschaffen„, statt die Sorgen der Wählerinnen und Wähler zu ignorieren.

Wir fragen es euch Parteipolitikerinnen, die als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft dienen sollen, statt sich ständig selbst zu profilieren und gegen Widersacher zu intrigieren. Und wir fragen es euch, die Regierung, deren Aufgabe es nicht ist, über euer bevorstehendes Ende zu spekulieren, sondern schlicht und einfach „die staatlichen Tätigkeiten zu leiten„. An euch alle, die sich gerade lieber mit Stühlerücken und Schuldzuweisungen beschäftigen, haben wir sehr viele Fragen. Um Antwort wird dringend gebeten.

Dieser Text ist zuerst erschienen bei Bento