Wahlen in den USA

Die Millennials bilden in den USA – im Gegensatz zu Deutschland – eine große, entscheidende WählerInnengruppe. Die Präsidentschaftswahlen waren für die Jungen trotzdem eine Enttäuschung.

9.11.2016: Donald Trump wird US-Präsident

Als ich am späten Abend des 8. November 2016 ins Bett ging, war die Welt bezüglich der US-Präsidentschaftswahlen noch in Ordnung. Eigentlich wollte ich die Auszählung der Stimmen bis zum Ende im TV verfolgen, aber es sah gut aus für Hillary Clinton, die Kandidatin der Demokraten, und ich war müde, also legte ich mich schlafen. Gegen fünf Uhr weckte mich mein Freund. Ich hatte ihn darum gebeten, denn er musste zum Flughafen, und ich war neugierig auf das Wahlergebnis. Ich wurde mit den Worten »Trump liegt vorne« geweckt und war sofort hellwach. »Was? Nein, das kann nicht sein.« Handy an, Fernseher an. Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. Ich zog mir die Decke über den Kopf.

Wenige Stunden zuvor in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Washington: Tyler, Jahrgang 1987, war auf dem Weg zu einem Freund:

„Wir hatten eine Party zu Ehren unserer ersten weiblichen Präsidentin geplant.“

Doch aus der Feier wurde nichts. Ein paar Swing States waren schon an Trump gegangen, die Idee, dass er tatsächlich Präsident werden könnte, war plötzlich nicht mehr lächerlich, wie zuvor in Tylers Umfeld angenommen. »Als ich bei der Party ankam, war klar, dass Trump gewonnen hat. Erst waren wir alle sprachlos. Dieser Moment war so unwirklich. Wir diskutierten schließlich darüber, wie das Geschehene doch noch abzuwenden ist oder ob wir vielleicht träumten. Das war auch am nächsten Tag noch so. In meiner Heimatstadt liefen alle mit gesenktem Blick herum, und Small Talk in Coffeeshops oder Restaurants war fast unmöglich.«

Ist das Geschehene noch abzuwenden?

Auch Constance, Jahrgang 1990, konnte es nicht glauben. Sie lebt in Berlin und telefonierte nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse mit ihrer Mutter in Kalifornien:

„Wir haben geheult. Und wir haben es immer noch nicht glauben können. Wir waren uns sicher, dass es ein Irrtum war, noch irgendein Fehler rauskommen und das Ergebnis neu verkündet wird.“

Ab jetzt wurde wochenlang nur noch über Filterblasen diskutiert. Facebook war schuld. Russland war schuld. Auf jeden Fall aber die Algorithmen. Am Ergebnis geändert hat sich nichts. 306 Wahlmän- ner stimmten für Donald Trump, 232 für Hillary Clinton.

Die Altersgruppen hatten wie folgt abgestimmt:

18- bis 24-Jährige: 55 Prozent pro Clinton, 32 Prozent pro Trump; 25- bis 29-Jährige: 53 Prozent pro Clinton, 37 Prozent pro Trump; über 50-Jährige: mehr als die Hälfte pro Trump.88

Millennials hätten Clinton gewählt

Umfragen vor den Wahlen zeigten, dass Hillary Clinton mit 504 Wahlmännern bzw. -frauen gewonnen hätte – hätten nur die Millennials gewählt. Also wieder ein Überstimmen der Jungen durch die Alten wie beim Brexit? Jein. Im Falle der US-Wahlen gab es viele Konflikte.

Die Zerrissenheit der Jungen zeigt sich in der Wahlbeteiligung: Nur 58,5 Prozent der 18- bis 24-Jährigen und 66,4 Prozent der 25- bis 34-Jährigen waren registriert – bei den über 55-Jährigen hingegen mehr als 76 Prozent.

Tyler, der junge Mann aus der Kleinstadt in Washington, glaubt, dass die Ungerechtigkeit zwischen den Generationen schon vor der Wahl und auch innerhalb der Parteien begonnen hat: »Für viele junge Menschen war Hillary Clinton nicht die Wunschkandidatin. Sie war die Kandidatin des alten Establishments der Demokraten. In den Vorwahlen konnten wir Jungen dann beobachten, wie die alte Garde der Demokratischen Partei die junge Bewegung der Partei regelrecht kaputt machte.«

Die Jungen hatten nämlich einen ganz anderen demokratischen Favoriten, der sie mit neuer Hoffnung für ihr Land erfüllte und sie von einer Revolution für eine gerechte Gesellschaft träumen ließ: Bernie Sanders. Ausgerechnet ein Mitte 70-Jähriger begeisterte die unter 40-Jährigen. Sie nannten ihn »The Bern«, in den Vorwahlen scheiterte er nur knapp. Und auch als es Hillary Clinton offiziell als Kandidatin der Demokraten zu unterstützen galt, konnten viele junge AmerikanerInnen nur eines:

#FeelTheBern

Nach der Wahl ist der Generationenkonflikt für Tyler nicht beendet – weder innerparteilich noch über Parteiinteressen hinweg. Dass viele ältere AmerikanerInnen für Trump stimmten, war für ihn ein deutliches Zeichen: »Die Babyboomer unterstützten weniger Trump selbst, als dass sie der Jugend und dem demografischen Wandel den Mittelfinger zeigten.«

Für Constance sendete die Wahl Trumps noch ein weiteres, deutliches Signal: »Egal was man von Hillary Clinton hält – dass sie als eine der erfahrensten Präsidentschaftskandidatinnen aller Zeiten gegen einen Mann verlor, der absolut keine Ahnung von Politik hat, lag daran, dass sie eine Frau ist. Damit müssen wir Frauen jetzt klarkommen. Es war eine deutliche Botschaft der Konservativen.« Egal ob zwischen Arm und Reich, Jung und Alt, Frau und Mann oder zwischen den Parteien: »Im Moment gibt es so gut wie keine Einheit mehr im Land«, beklagt Tyler.

So spaltete beispielsweise das Thema Menschenrechte die Gesellschaft – und Frauenrechte im Speziellen. Die Organisation des ersten Women’s March on Washington war eine Reaktion auf die Wahl Donald Trumps, seine oft frauenverachtenden und rassistischen Reden und Kommentare sowie seine Pläne, die Organisation Planned Parenthood finanziell nicht mehr zu unterstützen, weil sie Abtrei- bungen durchführte. Am Tag nach der Amtseinführung liefen allein in Washington mehr als eine halbe Million Menschen mit, zusätzlich zu den Tausenden in anderen Städten der USA und auf der ganzen Welt.

Ein weiterer Streitpunkt: der private Besitz von Schusswaffen. Während Gruppen wie Moms Demand Action oder Parents Against Gun Violence schon lange für strengere Waffengesetze kämpfen, hat sich der Protest gegen die Waffenlobby nach dem Amoklauf eines Jugendlichen in Parkland, Florida, am 14. Februar 2018 zu einer landesweiten Massenbewegung entwickelt. Begonnen hat alles mit Demonstrationen und Social-Media-Aufrufen der Überlebenden des Massakers, bei dem 17 Menschen erschossen wurden. Unter den Hashtags #NeverAgain und #EnoughIsEnough riefen junge Men- schen um die Schülerin Emma González zu zahlreichen Kundgebun- gen und Aktionen auf. Am 24. März erreichte die Bewegung ihren vorläufigen Höhepunkt mit einer landesweiten Demonstration, dem March for Our Lives, an dem allein in Washington rund 800000 Menschen teilgenommen haben sollen.

Dass junge AmerikanerInnen in der Politik nicht mehr übergangen werden wollen, zeigt auch das Engagement der Jungen in der Lokalpolitik. Dort, wo kein großes Vermögen notwendig ist, um sich für ein politisches Amt zu bewerben, übernehmen die Millennials das Zepter. In vielen Städten gibt es bereits jetzt junge BürgermeisterInnen: zum Beispiel in Ithaca, New York, South Bend, Indiana, Holyoke, Massachusetts, oder New Britain, Connecticut. Die Organisation Run for Something, die beim Bewerben um politische Ämter berät, hatte Ende 2017 rund 11 000 Anfragen von Millennials, die wissen wollten, wie sie in den Wahlkampf ziehen können – meist auf lokaler Ebene.

Die Zerrüttung der amerikanischen Gesellschaft zu sehen und zu realisieren, wie leicht die Unzufriedenheit der Landsleute zu unterschätzen ist, macht auch den jungen Deutschen Angst. Alex, 28, beschreibt, warum sie das Ergebnis der US-Wahlen so betroffen gemacht hat: »Für viele junge Deutsche hatten die USA immer eine Art Vorbildfunktion, oder sie übten zumindest eine gewisse Faszina- tion auf uns aus. Ich denke, viele hatten ähnliche Gedanken wie ich: Wenn schon in den USA ein Populist die Wahl gewinnen kann, wird diese Gefahr auch in Europa realer.«

Das gesamte Kapitel ist zu lesen in „Macht Platz!“, erschienen im Campus Verlag.