Parlament der Generationen im Bayerischen Landtag: Missverstandene Jugend

(Copyright: Akademie für Politische Bildung Tutzing)

(Copyright: Akademie für Politische Bildung Tutzing)

Auf den ersten Blick fallen im Bayerischen Landtag am 2. Juni graue Köpfe und Halbglatzen auf. Vielleicht ist das hier normal, doch gerade an diesem Tag sieht es hier so alt aus, weil im Parlament die Realität des demographischen Wandels abgebildet wird. Die Abgeordneten haben ihre Plätze für 150 Menschen aus Bayern freigegeben, die in den Parlamentsalltag hineinschnuppern wollen. Sie tun das auf Einladung der Akademie für Politische Bildung Tutzing, die mit den Möchtegern-Abgeordneten ein Experiment plant: Die Hälfte der Gruppe wird ein Generationen-Parlament 2016, die andere Hälfte ein Generationen-Parlament 2050 bilden. Das heißt: Entsprechend der Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft 2016 bezüglich Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund sowie entsprechend der dafür erstellten Prognosen für die Gesellschaft 2050 werden die Teilnehmer zwei Tage lang in die Rolle von Abgeordneten schlüpfen. Anstatt nach Parteien erfolgt die Fraktionsbildung jedoch nach Generationen.

Ü67er: 2016 die zweitkleinste, 2050 die größte Gruppe

Die Fraktion „Starter“ bilden die 15-30-Jährigen, die gleichzeitig 2016 und 2050 die mit Abstand kleinste Gruppe sind. Sie stellen nur 14 und später zwölf Abgeordnete, was ungefähr einem Anteil von 17% entspricht. Die Fraktion „Macher“ bilden die 31-50-Jährigen, die Fraktion „Könner“ die 51-66-Jährigen. Schließlich bilden die „Kenner“, also alle über 67-Jährigen, mit einem Anteil von 22% am Parlament 2016 die zweitkleinste Gruppe. Im Jahre 2050 sieht das schon ganz anders aus: Dann stellen die „Kenner“ 36% der Abgeordneten und sind somit die größte Fraktion.

Obwohl die Direktorin der Akademie Tutzing, Prof. Dr. Ursula Münch, bei der Eröffnung neugierig in den Raum stellt, von was die Interessen bei den Entscheidungsprozessen der Simulation wohl abhängen werden (Bildung, Migration, Wohnort oder Altersgruppen?), ist die Simulation doch stark darauf angelegt, einen Streit zwischen den Generationen zu provozieren. So arbeiten die Fake-Abgeordneten in zwei Ausschüssen: Bildung und Regionen, wo sie sich unter anderem entscheiden müssen, welche Maßnahmen sie dringender fördern wollen: Erwachsenen- oder Kinderbildung, Pflege oder Kinderbetreuung? Es soll „kein Gegeneinander“ der Generationen geben, betont auch die Präsidentin des Bayerischen Landtags, Barbara Stamm, in ihrer Eröffnungsrede. Gleichzeitig sollen aber laut Regelwerk die Altersgruppen gegeneinander taktieren und ihre Interessen gegenüber denen der anderen durchsetzen – wie es nun einmal ist, zwischen den Fraktionen eines Parlaments.

U30: Größtes Interesse am Parlament der Generationen

Bildungshintergrund, Vermögen und die verschiedenen Lebensrealitäten in Stadt und Land werden bei der Auswahl der Teilnehmer nicht berücksichtigt. Genauso wenig wie die politische Vorerfahrung: Da die Teilnehmer größtenteils von den Bayerischen Landtagsabgeordneten rekrutiert wurden, haben viele einen parteipolitischen Hintergrund. Trotzdem gab es schon in der Bewerbungsphase Überraschungen: Ausgerechnet in der Starter-Generation der 15-30-Jährigen, die ja die kleinste Fraktion bilden, gab es die meisten Bewerber. Und die Plätze der Abgeordneten mit Migrationshintergrund konnten nicht alle besetzt werden – zu wenig Interesse oder eher zu geringes Engagement von Seiten der Organisatoren? Mercedes Medina-Hanitzsch ist jedenfalls ein bisschen amüsiert darüber, dass sie als Vertreterin mit Migrationshintergrund eingeladen wurde. Zwar stammt die 67-Jährige von den Kanarischen Inseln, doch sie lebt schon seit 44 Jahren in Deutschland. Trotzdem ist sie gerne dabei: „Man muss sich immer weiterbilden. Man kann nicht immer nur jammern – auch ältere müssen sich beteiligen.“

parlmDie Arbeit im Parlament

Dass das Konzept der Generationen-Fraktionen nicht ganz aufgeht, zeigt schon die erste „Generationenratssitzung“ der Starter 2016. Hier soll sich die Fraktion der 15-30-Jährigen auf ihre wichtigsten Forderungen in den Bereichen regionale Entwicklung und Bildung einigen. Und schon wird deutlich, dass die Jungen eben nicht immer aus ähnlichen Lebenswelten kommen. Während viele gerne den öffentlichen Nahverkehr fördern wollen, um den ländlichen Raum auch für Familien und junge Menschen attraktiv zu machen, hält das eine Abgeordnete für überflüssig – in ihrem Wohnort bekomme eigentlich jeder mit dem Führerschein gleich ein eigenes Auto von den Eltern gekauft. Hier hätte sich die Starter-Fraktion vielleicht  lieber in Parteien-Fraktionen aufgeteilt, doch sobald sie in Ausschusssitzungen ihre Interessen gegen die anderen Altersgruppen vertreten müssen, sind sie froh, eine gemeinsame Stimme zu haben.

„Wenn man am Kopfende sitzt und sieht: links sind alle weißhaarig und rechts dann vielleicht noch ein paar um die 40-Jährigen – da wird einem schon anders“, beobachtet Elisabeth Lippert in ihrem Parlament 2050. Die 26-Jährige findet es wichtig, dass sich die Jungen zusammentun: „Manche Punkte kann man so einfach besser diskutieren. Zum Beispiel wenn es um den Nahverkehr geht, spielen für uns auch Mitfahrgelegenheit, Carsharing und Uber eine Rolle – den Älteren muss man erst einmal erklären, was das ist. Für die sind das „moderne Sachen“, für uns ist es Lebensrealität.“ Auch dass sich die Arbeitswelt verändert hat, wollen die Älteren nicht so ganz einsehen: Im Ausschuss für regionale Entwicklung 2016 wird die Förderung der Kinderbetreuung abgelehnt. Das Argument der Älteren, der Klassiker: „Früher gings ja auch.“ Trotz der teils frustrierenden Zusammenarbeit mit den älteren Generationen macht für viele Teilnehmer eine Aufteilung in Partei-Fraktionen immer noch mehr Sinn. „Die politische Grundhaltung hat ja nichts mit dem Alter zu tun,“ weiß Elisabeth Lippert, „zum Beispiel, wenn es darum geht, wie sehr sich der Staat einmischen soll.“

Am Ende des Parlaments zeigt sich: Die Interessen der Generationen liegen tatsächlich häufig weit auseinander – auch wenn in dieser Simulation nur zu ohnehin zugespitzten Themen diskutiert wurde. Während sich jedoch die Generationen der „Könner“ und „Macher“ häufiger gegen die Interessen der Jungen stellten, zeigte die Generation 67+ oft mehr Verständnis für die Bedürfnisse der 15-30-Jährigen. Auch war die Einigkeit innerhalb der Starter im Vergleich zu den anderen Fraktionen auffallend. Trotzdem meint Prof. Münch, um die Interessen tatsächlich durchsetzen zu können, müssten die Starter noch ein bisschen diplomatischer werden.

Trotz der spannenden Ergebnisse dieses Simulationsspiels, die von der Akademie für Politische Bildung Tutzing noch wissenschaftlich analysiert werden, bleiben gerade die Jungen mit ihrer geringen Stimmkraft ratlos zurück. Denn ihre Interessen zu vertreten, das hat das Spiel gezeigt, schaffen sie nicht alleine. Die älteren Politiker müssen auch ein Interesse an Politik für alle Generationen haben. Der Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Peter Meyer, sieht die Parteien in der Pflicht: „Sie sollen ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Zusammensetzung sein. Deshalb muss man sich um den Nachwuchs bemühen. Dann findet innerhalb der Parteien ein Ausgleich der Interessen statt. Es darf sich nicht immer nur durchsetzen, wer am lautesten schreit weil er die Mehrheit hinter sich hat.“ Durchsetzen wird sich aber, wer die meisten Wählerstimmen hinter sich hat. Und die sind alt. Viele der jungen Teilnehmer befürworten deshalb die Herabsetzung des Wahlalters: „Unsere Interessen werden nicht so berücksichtigt, wie die der älteren, die wählen dürfen. Deshalb bin ich für eine Wahlbeteiligung ab 14 oder 15,“ sagt Nikolaus Patzak, der mit seinen 15 Jahren der jüngste Teilnehmer beim Parlament der Generationen ist. Jonathan-Milot Spörl ist 16 Jahre alt und findet: „Wenn wenigstens die Landtagswahlen ab 16 wären, müssten die Politiker mehr auf die Themen der Jugend eingehen weil sie eine potentielle Wählergruppe wären.“ Für diese Diskussion ist bei der Simulation im Landtag kein Platz.

Dass letztendlich die Jugend mal wieder die missverstandene Gruppe ist, zeigen die Schlussstatements. Professor Münch lobt die Teilnehmer für ihr Engagement und Interesse. Das Leben sei eben komplizierter, als sich in einem Tweet ausdrücken ließe. Und der Landtagsabgeordnete Peter Paul Gantzer entzieht sich der Verantwortung für die Auswirkungen des demografischen Wandels mit den Worten: „Wir leiden nicht an Überalterung, sondern an Unterjüngung. Tut was ihr Jungen!“

Das sagen die „Starter“

ElisabethElisabeth Lippert, 26, Studentin aus Schweinfurt, Unterfranken

„Der demografische Wandel ist gerade für uns wichtig, denn wir haben ein ziemlich schweres Arbeitsleben vor uns: Wir werden unheimlich viel arbeiten müssen, hohe Beiträge zahlen, viele Menschen mitfinanzieren.  Deswegen ist es wichtig, darauf zu achten, dass wir nicht übergangen werden.“

„Beim Parlament der Generationen sind ganz klar schon Konfliktlinien zwischen den Generationen angelegt. Die haben sich aber jetzt gar nicht so sehr entladen, wie ich das erwartet hätte. Als Starter haben wir uns auch sehr gut verkauft – das war glaube ich für alle ein bisschen überraschend.“

NikoNikolaus Patzak, 15, Schüler aus Putzbrunn, Oberbayern

„Im Bildungsausschuss wurde unsere Meinung ernst genommen, da wir ja noch sehr nah dran sind an Schule oder Uni. Bei den regionalen Themen sah es anders aus. Als es zum Beispiel um das Thema Kinderbetreuung ging, mussten wir uns Vorwürfe anhören – wir würden unsere Kinder gar nicht betreuen, sondern sie sich selbst überlassen.“

„Das Konzept der Generationen-Fraktionen ist in der Realität eher nicht umsetzbar, obwohl es sinnvoll wäre. Wir haben kaum ganz junge Landtagsabgeordnete. Dabei ist die Meinung der Kinder und Jugendlichen sehr wichtig. Wir müssen ja die Zukunft ausbaden.“

miJonathan-Milot Spörl, 16, Schüler aus Mühldorf am Inn, Oberbayern

„Man muss als junger Mensch immer seine Meinung gegen Ältere, Konservativere durchsetzen. Wir sind als junge Generation eigentlich immer in der Minderheit. Deswegen ist man diese Rolle schon gewohnt.“

 

(Copyright: Bayerischer Landtag, Rolf Poss)

(Copyright: Bayerischer Landtag, Rolf Poss)

Franziska Fröhlich, 29, Doktorandin aus Karlstadt am Main, Unterfranken

„Mich hat das Parlament der Generationen optimistisch gestimmt. Obwohl die Aufgabenstellungen klar auf den Konflikt der Generationen abgezielt haben, habe ich das in den Sitzungen ganz anders erlebt. Gerade die älteren Generationengruppen waren sehr offen dafür, unsere Interessen miteinzubeziehen.“

„Junge Leute müssen stärker in die Politik eingebunden werden. Das heißt einerseits, dass man sie mehr für Politik begeistert, dass sie Interesse daran entwickeln und merken, dass es spannend ist. Auf der anderen Seite bedeutet das, dass man politische Angebote vielleicht auch niederschwelliger machen muss, damit Jugendliche schneller damit in Kontakt kommen. Vielleicht sollten Parteien ansprechendere Angebote machen – statt nur trockener Mitgliederversammlungen und Gremiensitzungen. Es ist ja nicht so, dass Jugendliche nicht interessiert sind oder sich nicht politisch einbringen wollen, sondern dass sie sich oft alternativ außerhalb der Parteien engagieren.“

„Generationen-Fraktionen sind kein realistisches Konzept. Es sollte ja auch intergenerationell in Fraktionen zum Austausch kommen. Wir brauchen mehr junge Leute, die eine Stimme für die junge Generation sein können  – dann aber mit allen Generationen reden. Der Dialog muss gefördert werden.“