Jung und verzogen?

(Bildnachweis: Alexandre Dulaunoy/flickr.com/CC)

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Sebastian Matthes, Chefredakteur der „Huffington Post Deutschland“, rechnete öffentlich mit der Generation Y ab. Eine Antwort.

Lieber Sebastian Matthes,

offensichtlich sind Sie sehr wütend auf uns, die Generation Y. Ich kann es ein bisschen nachvollziehen, wenn sich Ihre Erfahrungen auf die Medienberichterstattung und Studien beziehen, die es über meine Generation gibt. Die bringen auch mich in Rage.

Wirklich jeder scheint demnach bestens über die Generation Y Bescheid zu wissen. Immer wieder gibt es neue Studien zu unseren Karrierezielen und unserem Hang zu Depressivität. Dabei sehen sich nur wenige von uns von diesen Befragungen repräsentiert. Die Anzahl der Studienteilnehmer ist meist so gering, dass sie kaum die breite Masse der 15- bis 30-Jährigen in Deutschland widerspiegeln kann, die unter dem Begriff Generation Y zusammengefasst werden. Das zeigen auch die Ergebnisse: Mal heißt es, für uns zählen nur Kreativität und Freizeit, mal, wir würden am liebsten eine Beamtenlaufbahn einschlagen. Die Generation Y ist eben keine homogene Masse.

Sie schreiben, Sie erleben unsere Generation als „ziellos und unsicher“. Teilweise mögen Sie recht haben, denn verunsichert sind wir allemal. Wir haben zig Praktika gemacht, sind mindestens einmal im Ausland gewesen – denn das ist es, sagte man uns, was zukünftige Arbeitgeber von uns erwarten. Wir bekommen zu hören, wie gut wegen des Fachkräftemangels unsere Jobaussichten sind. Doch obwohl wir top ausgebildet sind, suchen wir oft ein Jahr oder länger nach einer Arbeit. Wir befinden uns häufig in befristeten Arbeitsverhältnissen und absolvieren nach unserem Hochschulstudium noch ein weiteres Praktikum, weil uns nur auf diesem Weg der Einstieg ins Unternehmen versprochen wird. Weil wir eben Berufseinsteiger sind, sollen wir außerdem schlechte Gehälter, unbezahlte Überstunden und möglichst wenige Urlaubstage in Kauf nehmen – aber bitte nicht meckern.

Das „klare Ziel“, von dem Sie schreiben, haben viele von uns anfangs vor Augen. Doch es wird häufig zunichte gemacht: Sei es durch die hohen Zugangsvoraussetzungen für den Master-Platz oder durch den dritten Zeitvertrag, der nicht in eine unbefristete Beschäftigung führt. Sie mögen uns nun vielleicht vorwerfen, wir würden jammern und müssten nur mit genügend Biss durchhalten. Doch wer mit Ende 20 aufgrund prekärer Beschäftigung noch immer nicht in der Lage ist, seine Zukunft zu planen, verliert möglicherweise sein klares Karriereziel aus den Augen und entscheidet sich für einen alternativen Weg.

Die einzigen Mitglieder der Generation Y, die Ihnen, Herr Matthes, positiv im Gedächtnis geblieben sind, stempeln Sie mit dem Argument ab, solche Menschen hätte es aber schon immer gegeben. Da haben Sie sicher recht. Aber auch unmotivierte Menschen hat es schon immer gegeben. Menschen, die keine ehrgeizigen Ziele verfolgen, sind kein Phänomen der Generation Y. Sie regen sich über die Studentin auf, der die 30-minütige Bahnfahrt zum Praktikum zu lange dauert. Wenn Sie diese Frau als typisches Beispiel für die Generation Y heranziehen, müssen Sie auch von denjenigen erzählen, die für ein unbezahltes Praktikum in eine andere Stadt oder gar ein anderes Land ziehen und zur Finanzierung einen Kredit aufnehmen. Auch sie repräsentieren unsere Generation.

Sie sagen, wir sollen aus unserer „kuscheligen Wohlfühl-Welt“ ausbrechen. Doch wie passt das zusammen mit den angeblich so hohen Zahlen an Depressionspatienten in unserer Generation? Risiken – dazu müssen Sie uns nicht auffordern – gehen wir immer wieder ein. Wenn wir zwei Jahre zu einem Hungerlohn als Trainee oder Volontär arbeiten, weil das für die Unternehmen billiger ist als eine reguläre Vollzeitkraft. Wenn wir eine Familie gründen, obwohl der Arbeitgeber deutlich macht, dass er dann in Zukunft auf den ständig erreichbaren Kollegen setzt. Wenn wir auf Altersvorsorge verzichten, damit wir uns überhaupt die Gegenwart leisten können. Durch all diese Risiken, die wir nicht alle freiwillig eingehen, werden wir immer wieder gezwungen, „die Dinge wirklich zu hinterfragen“. So wie Sie es sich von der Generation Y wünschen. Wir wissen, dass es die Sicherheit nicht gibt, die wir angeblich unentwegt suchen.

Auch ich kann nicht für die gesamte Generation Y sprechen, denn jeder von uns macht andere Erfahrungen und hat daher ganz unterschiedliche Erwartungen an die Arbeitswelt. Es gibt nicht die eine Schablone, die auf uns alle passt. Und wir haben auch keinen „Masterplan“, wie Sie ihn sich von der Generation Y wünschen. Doch den hatte auch vor uns keine Generation. Gerade deshalb fühlen wir uns von älteren Generationen häufig missverstanden. Dabei müssten Sie das eigentlich gut kennen. Schließlich ist Ihrer „Generation X“ in den Medien Ähnliches widerfahren (Zur Erinnerung: Sie seien wohlstandsorientiert, markenfixiert, unkritisch). Sicher haben auch Sie sich nicht gern stigmatisieren lassen.

Statt gleich ganz mit der Generation Y „abzurechnen“, wie Sie es schreiben, lernen Sie doch lieber möglichst viele Individuen unserer Generation kennen. Nur dann können Sie sich ein umfangreiches Bild machen – und aufhören, zu pauschalisieren.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen als Kolumne „Die Jugend von heute“ bei The European.